Diätbotschaften in der Schule

In meinem Alltag spreche ich offen über die Auswirkungen unserer Diätkultur – sowohl als ehemalig Betroffene einer Essstörung als auch als Mutter, die ihren Sohn vor dem schützen möchte, was mir so viele Jahre meines Lebens geraubt hat.
Dennoch weiß ich natürlich, dass es, egal wie sehr ich versuche, mein Kind vor Diätbotschaften zu schützen, immer externe Faktoren geben wird, die außerhalb meiner Kontrolle liegen – Schule, soziale Medien, Genetik etc. Mein Mann und ich versuchen, so gut wie wir können, unser zu Hause zu einer körperpositiven Umgebung zu machen, indem wir zum Beispiel Lebensmittel nicht in „gut“ und „schlecht“ einteilen, keine negativen Kommentare zu unserem Körper abgeben und gemeinsam als Familie essen.
Heute möchte ich aber nicht nur privat bleiben, sondern ein bisschen aus meinem Erfahrungsschatz als Sozialpädagogin sprechen. Da ich gut zehn Jahre an diversen Schulen gearbeitet habe, sprechen wir doch genau über diesen externen Faktor: Schule.

Disclaimer: Du liest diesen Blogbeitrag, weil du wahrscheinlich die Meinung einer Sozialpädagogin und Mutter, die über Themen wie Körperakzeptanz, Gewichtsdiskriminierung, Prävention von Essstörungen etc. spricht, schätzt. Ich bin jedoch keine Gesundheitsdienstleisterin und die folgenden Ratschläge, sind nicht als Ersatz für medizinische oder therapeutische Beratung gedacht.

Während die Förderung der Ernährungskompetenz in der Theorie eine gute Idee ist, greift sie in der Praxis oft zu kurz. Die schulische Ernährungsbildung basiert oft noch auf unserer Diätkultur und Fettfeindlichkeit.
Ich bin fest davon überzeugt, dass Schulen ihr Bestes tun, um Schüler:innen dabei zu unterstützen, eine gesunde Beziehung zu ihrem Körper und Nahrung zu haben. Die Absicht, gesunde Kinder grosszuziehen, ist großartig, aber leider ist vieles von dem, was wir (als ganze Gesellschaft) tun, kontraproduktiv.

Nehmen wir beispielsweise Ernährungslektionen. Inzwischen stimmen viele damit überein, dass es keine „guten“ oder „schlechten“ Lebensmittel gibt und dass es gesund ist, alle Lebensmittel in einem ausgewogenen Verhältnis essen zu können. So weit so gut. Aber was ist, wenn ein Kind mehr wiegt, als die Gewichtskurve für sein Alter vorgibt? Oder es selbst die Unsicherheit äußert, dass es sich unwohl in seinem Körper fühlt? Hier herrsch vorwiegend immer noch die Meinung, dass dann irgendwo eingespart und einige Lebensmittel limitiert werden müssen.
Einige Kinder, denen beigebracht wird, bestimmte Lebensmittel zu limitieren, fühlen sich am Ende aber mehr zu ihnen hingezogen. Verbotene Früchte schmecken am süßesten. Auf der anderen Seite können Kinder, die dazu neigen, ängstlicher zu sein oder Regeln zu befolgen, Angst vor „rationierten“ Lebensmitteln entwickeln und ganz aufhören, diese zu essen. Leider höre ich solche sicher gut gemeinten Ratschläge und «Ernährungslektionen» in Schulzimmern immer wieder.
Oder was ist mit Gesprächen über Bewegung?
In einem Workshop einer 5. Klasse erlebte ich, wie eine Schülerin ihre Bedenken hinsichtlich ihres Aussehens und der Art und Weise, wie sie sich in ihrem Körper fühlt, einer Lehrperson mitteilte. Der Ratschlag der Lehrperson inklusive dreiviertel der Klasse war: Mehr Bewegung. Sicher, körperliche Aktivität hat einen guten Einfluss auf unsere physische und auch mentale Gesundheit, inklusive dem Körperbild. Aber auch wenn wir vermuten, dass es der Schülerin tatsächlich dabei helfen wird, sich in ihrem Körper besser zu fühlen, wenn sie ihren Körper mehr bewegt, ist das allein ein gefährlicher Ratschlag. Das Problem ist, dass wir so viele Assoziationen zwischen Training und Gewichtsmanipulation oder Körpermodifikation haben, und davon sollten wir uns lösen.

In dieser Situation würde ich raten, die Gefühle der Schülerin erst einmal zu anerkennen. Wir dürfen nie Körpergrößen oder Erfahrungen leugnen. Denn ja, es ist schwer, größer zu sein als die anderen, ganz besonders in einer Welt, die uns allen , aber vor allem Mädchen, sagt, wir sollten dünner sein. Aber das bedeutet nicht, dass Gewichtsverlust die Lösung ist. Und genau dies würde ich dann auch versuchen zu erklären. Auf praktischer Ebene (natürlich an das Alter der Schüler*innen angepasst) erklären, dass Diäten und Bewegung nur mit dem Ziel Gewicht zu verlieren, nicht funktionieren; jedes Gewicht, das wir kurzfristig verlieren, nehmen wir in 95% der Fälle wieder zu. Weiter würde ich erklären, dass wir, wenn wir versuchen, Gewicht zu verlieren, um anderen Menschen zu gefallen, in Wirklichkeit das System von Gewichtsdiskriminierung aufrechterhalten und es somit allen schwerer machen, sich in ihrem Körper sicher und wohlzufühlen.

Und erst dann, wenn ich deutlich gemacht habe, dass Sport nichts ist, was wir tun sollten, um Gewicht zu verlieren – und ich sicher bin, dass diese Botschaft bei den Kindern Anklang findet –, würde ich mit ihnen darüber sprechen, wie wir eine freudige und nachhaltige Beziehung zur Bewegung aufbauen können.

Ich würde solche Gespräche nutzen, um Gespräche über Gewichtsstigmatisierung, über Körpervielfalt, über Missverständnisse von Essstörungs-Stereotypen zu führen und die Aussage zu bekräftigen, dass alle Körper gute Körper sind, auch wenn es schwierig sein kann, in einem bestimmten Körper zu leben.

All dies macht deutlich, dass die Haltung der Lehrpersonen eine zentrale Rolle spielt. Ich ermutige Lehrpersonen über folgende Fragestellungen zu reflektieren: Was motiviert mich, Lektionen über Ernährung zu unterrichten? Schüren meine eigenen Annahmen über Ernährung und Bewegung Angst-, Scham- oder Schuldgefühle? Wenn ja, kann ich diese Gefühle erforschen, bevor ich Kinder in diesem Fach unterreichte? Etc.

Wir müssen Kinder dabei unterstützen, zu lernen, wie man über Essen und Bewegung nachdenkt, über Essen spricht, wie mit Essen und Bewegung umgeht, auf eine Art und Weise, bei der nicht die Gefahr einer unbeabsichtigten Verstärkung von Körperbildstörungen und Essstörungen besteht. Dies können wir nur tun, wenn wir uns selbst unserer eigenen Einstellung bezüglich Körpervielfalt, intuitivem Essen, Körperdiskriminierung etc. bewusst sind.

Meine «Weisheiten» als Mutter, ehemalig Betroffene einer Essstörung und Sozialpädagogin sind Eltern, Lehrpersonen und allen anderen Bezugspersonen von Kindern gewidmet und zielt in keinster Weise darauf ab, sie zu beschämen oder zu sagen «so und so musst du es machen». Ganz im Gegenteil. Wenn du neugierig bist und tatsächlich entdeckst, dass du zum Beispiel Gewichtsvorurteile hast (und seien wir ehrlich, die haben wir alle, denn das lehrt uns unsere Gesellschaft), dann ist es mein Wunsch, dass du dies bemerkst und dich dafür nicht verurteilst. Mein Anliegen ist es zu helfen, diese Stigmas zu reduzieren, um körperpositive Kinder grossziehen zu können.

Alles Liebe